Im Schatten wachsender Spannungen und geopolitischer Machtspiele entwickelt sich der Indopazifik zur strategischen Hauptbühne der internationalen Politik. Zwischen wirtschaftlicher Abhängigkeit, militärischer Expansion und politischer Selbstbehauptung formieren sich neue Allianzen, Flotten und Ambitionen. Im Gespräch mit Oberst Dr. Christian Wolf, Politikwissenschaftler an der Theresianischen Militärakademie und Experte für maritime Sicherheit, analysiert Claudio Schiesl auf seinem Youtube Kanal die strategischen Verschiebungen im Indopazifik – und zeigt, welche Rolle Marinen in dieser Entwicklung spielen.
Der Indopazifik: Mehr als nur Wasser
Der Indopazifik ist nicht einfach nur eine geografische Bezeichnung. Er ist der Raum, in dem der Pazifik und der Indische Ozean zusammentreffen – und gemeinsam die größte zusammenhängende Wasserfläche der Welt bilden. Der Begriff selbst wurde vom ehemaligen japanischen Premierminister Shinzo Abe geprägt und signalisiert eine Verschiebung der sicherheitspolitischen Aufmerksamkeit von Europa und dem Nahen Osten auf den Fernen Osten. In dieser Region treffen die Interessen globaler und regionaler Mächte aufeinander: USA, China, Japan, Indien und viele mehr. Sie alle eint ein Ziel: Kontrolle über Seewege, Ressourcen und strategische Positionen.
„Die Straße von Malakka ist dabei von zentraler Bedeutung“, so Oberst Wolf. Durch diese Meerenge zwischen Malaysia und Indonesien läuft ein Großteil des Welthandels. Wer sie kontrolliert, hat Einfluss auf weltweite Lieferketten – ein strategischer Hebel, den China zunehmend ins Visier nimmt.
China: Aufstieg zur maritimen Großmacht
Chinas Aufrüstung im maritimen Bereich ist beispiellos. In einem 3-Schicht-Betrieb arbeiten chinesische Werften rund um die Uhr. Damit gelingt es der Volksrepublik, jährlich eine große Zahl an Schiffen – darunter auch Kriegsschiffe – vom Stapel zu lassen. Schon heute besitzt China die größte Marine der Welt – zumindest was die Anzahl der Schiffe betrifft.
Doch wie Oberst Wolf betont: „Nur Schiffe allein machen keine Marine.“ Es fehle oft an der notwendigen Integration in sogenannte Carrier Strike Groups – also Flugzeugträgerverbände mit entsprechender Luft-, See- und Unterwasserabwehr. Dennoch: Mit der Entwicklung neuer Flugzeugträger wie der Fujian, dem Ausbau von künstlichen Inseln im Südchinesischen Meer und der Stationierung atomwaffenfähiger U-Boote demonstriert China Entschlossenheit, als gleichwertige Seemacht wahrgenommen zu werden.
USA: Die etablierte Supermacht unter Druck
Die Vereinigten Staaten bleiben vorerst die dominierende Seemacht – mit elf atomgetriebenen Flugzeugträgerkampfgruppen und einem globalen Netzwerk an Stützpunkten. „Die Fähigkeit zum Forward Deployment, also der Vorwärtsstationierung, gibt den USA einen entscheidenden strategischen Vorteil“, erklärt Wolf. Stützpunkte wie Guam oder Diego Garcia erlauben es der US Navy, im Krisenfall schnell und entschlossen zu reagieren.
Doch dieser Vorsprung ist nicht mehr uneinholbar. China und auch andere Staaten rüsten auf – nicht zuletzt, weil sie sich vom amerikanischen Einfluss eingeengt fühlen. Die sogenannte „erste Inselkette“, die sich von Japan über Taiwan bis zu den Philippinen erstreckt, wird von Peking als strategische Einkreisung wahrgenommen.
Japan, Indien, Australien: Alte Mächte in neuer Rolle
Auch Japan baut seine maritime Präsenz kontinuierlich aus. Die Izumo-Klasse, offiziell als „große Zerstörer“ bezeichnet, sind de facto Helikopter- und bald auch Flugzeugträger. Historisch belastet durch die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs, tastet sich Japan schrittweise zurück zu einer vollwertigen Blue-Water-Navy – also einer Flotte mit weltweiter Einsatzfähigkeit.
Indien wiederum strebt eine Dominanz im Indischen Ozean an, den es zunehmend als „Indias Ocean“ versteht. Das Land verfügt bereits über mehrere Träger und moderne Zerstörer – und sieht sich als Gegengewicht zu China. Pakistan bleibt mit seiner kleineren Flotte ein regional begrenzter Akteur, der jedoch durch seine Nähe zu China strategisch relevant ist.
Australien hingegen profitiert geostrategisch von seiner Insellage. Der Kontinent fungiert zunehmend als logistische Drehscheibe für die westlichen Mächte im Südwestpazifik. Dennoch bleibt seine Rolle begrenzt auf die Unterstützung größerer Partner wie den USA.
Taiwan: Der Zündfunke einer globalen Eskalation?
Ein potenzieller Konflikt um Taiwan ist das wohl brisanteste Szenario im Indopazifik. Auch wenn eine unmittelbare Invasion durch China derzeit als unwahrscheinlich gilt, bleibt das Risiko bestehen. Wahrscheinlicher, so Wolf, sei zunächst eine gezielte Besetzung unbewohnter Riffe und vorgelagerter Inseln. Diese könnten den geopolitischen Spielraum Taiwans empfindlich einschränken – ohne automatisch eine militärische Reaktion des Westens auszulösen.
Die Frage, ob westliche Staaten bereit wären, wegen kleiner Felsen im Südchinesischen Meer in einen offenen Konflikt mit China zu treten, bleibt unbeantwortet – und genau darin liegt die strategische Grauzone, die Peking möglicherweise auszunutzen gedenkt.
Europa: Der entfernte, aber betroffene Beobachter
Europa scheint auf den ersten Blick weit entfernt vom Indopazifik. Doch diese Einschätzung greift zu kurz. Die chinesische Belt and Road Initiative reicht längst bis auf den alten Kontinent: Häfen wie Piraeus in Griechenland oder Triest in Italien befinden sich in chinesischer Hand oder im Einflussbereich. Die maritime Seidenstraße endet in Europa – und macht den Kontinent abhängig.
„Europa muss sich seiner Rolle bewusst werden“, mahnt Wolf. Auch wenn die europäischen Marinen – etwa Frankreich, Großbritannien, Italien oder Spanien – durchaus präsent sind, fehle es an Koordination und strategischer Integration. „Wir haben viel Potenzial, aber nutzen es nicht optimal“, so der Militärexperte.
Fazit: Die Rüstungsspirale dreht sich weiter
Was bedeutet all das für die Zukunft? Oberst Wolf zeigt sich realistisch: „Die Aufrüstung im Indopazifik wird weitergehen.“ Neue Spieler werden auf den Plan treten, bestehende Mächte ihre Fähigkeiten weiter ausbauen. Der Wettbewerb um Vorherrschaft, Einfluss und Sicherheit auf den Weltmeeren ist längst entbrannt – und betrifft uns alle.
Ob Europa seine Interessen wahren kann, hängt davon ab, ob es gelingt, sich frühzeitig strategisch aufzustellen. Denn in einer multipolaren Welt ist Abschottung keine Option – schon gar nicht, wenn die Macht zunehmend vom Land aufs Meer verlagert wird.